Wer mit Bus und Bahn unterwegs in Bremen ist, nutzt vielleicht auch die Linie 62. Obwohl sie nicht gerade zu den bekanntesten und wichtigsten Verbindungen im Busnetz der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) gehört, lohnt sich die Fahrt entlang der Weser. Unter anderem auf dieser Route feierte im Frühjahr der erste von insgesamt fünf modernen Elektrobussen der BSAG seine Premiere. Diese sind auch bei Fotografinnen und Fotografen sehr begehrt. Seitdem erhält die Verbindung auch wieder mehr Aufmerksamkeit. Meistens montags bis freitags am Vormittag und ab etwa 16.30 Uhr übernimmt der »Stromer« – soweit verfügbar – die Fahrten bis gegen 20 Uhr. Und Fahrgäste, die ihn kennenlernen möchten, können die Rundreise mit einem kleinen Ausflug ins Niedervieland verbinden. Was viele nicht wissen: Die Geschichte der Linie 62 ist eng mit der Bremer Hafenentwicklung verbunden.
Text und Fotos: Heiner Brünjes
Unterwegs in Bremen: Mit der Linie 62 zwischen Stadt und Dorf pendeln
Die Buslinie 62 pendelt montags bis freitags zwischen der Endstelle in Rablinghausen und Hasenbüren/Jachthafen. Zunächst fährt sie durch die Rablinghauser Landstraße mit unter anderem der Haltestelle Bakeweg. Dann geht es via Stromer Straße durch den durchaus schon etwas ländlich geprägten Teil von Woltmershausen. Die Haltestelle Alter Schutzdeich hat einige Bedeutung für den Schülerverkehr (Oberschule Roter Sand). Anschließend führt die Strecke weiter durch das Gewerbegebiet beim Neustädter Hafen mit Blicken auf die mächtige Gleisharfe und das imposante Hochregallager der BLG Logistics (Haltestelle Georg-Henschel-Straße).
Nach einer scharfen Rechtskurve geht es dann auf einer schier endlos erscheinenden, schnurgeraden und etwas holperigen Straße weiter. Blicke aus dem Fenster lohnen sich: Links liegt das Güterverkehrszentrum, das aber vom 62er nicht angefahren wird. Rechts in der Ferne arbeiten die Kräne und weitere Anlagen des Neustädter Hafens. Beim genauen Hinschauen ist der Waller Fernsehturm zu sehen.
Schließlich wird Seehausen in einer weiteren scharfen Kurve erreicht. Über die Seehauser und Hasenbürener Landstraße sowie Hasenbürener Deich chauffiert der Bus die Fahrgäste durch die beschaulich wirkenden Dörfer Seehausen und Hasenbüren. Markante Stellen sind unter anderem die Türme des Klärwerks Seehausen und die Baustelle der künftigen Autobahn A 281. Auch die Anlagen der Stahlwerke Bremen, die sich auf der anderen Weserseite befinden, sind an manchen Stellen zu erkennen.
Entlang der Linie 62: Über den Straßenrand hinausblicken
Wer unterwegs in Bremen ist, stellt schnell fest, dass dort Stadt und Land an vielen Stellen nah beieinanderliegen. Die Internetseite bremen.de berichtet: »Am äußersten Rand des Stadtgebiets liegt im Bremer Südwesten Seehausen. Während der größte Teil des Stadtteils aus Marschland besteht, schlängelt sich die einzige Hauptstraße parallel zum Strom der Weser. Hier wohnen auch die knapp 1.100 Bewohner:innen in Einfamilien- und Bauernhäusern. Der Stadtteil entstand aus den beiden Dörfern Hasenbüren und Seehausen und wurde 1945 in die Stadt Bremen eingemeindet. Seinen Namen verdankt Seehausen einem zum See gewordenen früheren Weserarm.«
»Den dörflichen Charakter hat Seehausen auch nach der Eingemeindung in die Stadt Bremen beibehalten. Alte Bauernhöfe – der älteste soll aus dem Jahr 1643 stammen – prägen die Kulisse des Ortsteils. Nur einer betreibt allerdings noch Landwirtschaft. Hinter den Häuserzeilen, die sich entlang der Seehauser beziehungsweise Hasenbürener Landstraße aufreihen, erstreckt sich weitläufiges Marschland. Vereinzelt ist es gespickt mit Windrädern. In Seehausen lässt sich also zwischen Weser und Wiese Natur pur erleben, ohne dabei auf die Nähe der Stadt verzichten zu müssen.«
Nach rund 20 Minuten Fahrzeit erreicht die Linie 62 ihre Endhaltestelle in ländlicher Umgebung. Ein Deich, endlos erscheinende Marschwiesen und vereinzelte Häuser – dort gibt es Natur pur. Und auf der anderen Seite der Weser liegen die Stahlwerke.
Nach einem kleinen Fußmarsch erreicht man am linken Weserufer den Jachthafen Hasenbüren mit seinen zahllosen Booten und einer Restauration. Noch ein kleines Stück weiter geht es zur Ochtum mit dem Sperrwerk und interessanten Feuchtbiotopen. Dort bietet sich eine schöne Aussicht, die zum Verweilen einlädt. Empfehlenswert ist vor einem Rundgang der Blick auf den Fahrplan, weil die Linie stündlich und nur bis gegen 20 Uhr verkehrt.
Eine Zeitreise mit der Linie 62
Wer mit der Linie 62 im Südwesten von Bremen unterwegs ist, bekommt aber noch mehr geboten als idyllische Impressionen. Denn so unbedeutend die Verbindung nach Hasenbüren auch erscheinen mag, so hat sie zudem eine spannende Geschichte zu bieten. Diese ist eng mit der Weser und ihren Häfen verbunden. Der Nachbarort von Rablinghausen war das Dorf Lankenau. Es lag etwa gegenüber der Schiffsbauwerft »A.G. Weser«. Es war für seinen Weserstrand bekannt sowie als Badeort sehr beliebt und begehrt.
An das Dorf erinnert heute das Lankenauer Höft, ein neuer Hotspot mit Restaurant und Strandflair. Schon im Jahr 1927 bot die damalige Bremer Vorortbahnen GmbH (BVG), eine Tochtergesellschaft der BSAG, für die Badegäste eine Bedarfslinie an, die zwischen dem ehemaligen Straßenbahnbetriebshof am Woltmershauser Friedhof und dem Badeplatz an der Fähre Lankenau pendelte. Erst am 7. Januar 1939 richtete die BVG eine ständige Buslinie ein. Sie fuhr von der Straßenbahn-Endhaltestelle der Linie 7 am Bakeweg über Rablinghauser Landstraße, Lankenauer Landstraße und Seehauser Landstraße bis nach Hasenbüren (Am Glockenstein), also parallel zur Weser.
Von der Linie L zur 62
1939 gab es den Neustädter Hafen noch nicht und Rablinghausen war – anders als heute – für sein Hinterland offen. Dabei fuhr der Bus in der Rablinghauser Landstraße gegenüber heute entgegengesetzt durch den Ortsteil und verkehrte über die seinerzeit nicht vorhandene Busschleife in Rablinghausen weiter in Richtung Lankenau. Sie bediente dort unter anderem die Haltestelle Fähre Lankenau. Die Verbindung ist somit bis heute die älteste Linie in Rablinghausen. Erst ab Oktober 1945 erhielt sie die Linienkennung L (die spätere 61 war K) und fuhr dann bis nach Hasenbüren. 1956 erfolgte die Verlängerung zum Betriebshof Woltmershausen (Friedhof).
Ende der 1950er-Jahre wurde der Neustädter Hafen geplant, der das Ende für das Dorf Lankenau bedeutete. Ab dem 5. November 1962 rollte die Linie L daher auf einer neuen, umwegigen Strecke über die Senator-Apelt-Straße bei gleichzeitiger Stilllegung des Abschnitts: Rablinghauser Landstraße – Seehauser Landstraße. Sie umfuhr somit den Neustädter Hafen.
Mit der Umstellung der Linie 7 auf den 24er-Bus im Jahr 1965 verkehrte sie von deren Endstelle am Roccoweg, 1967 vom heutigen Wendeplatz und ab dem 5. Mai 1968 war es anstelle der L die Linie 62. Im Laufe der Jahrzehnte gab es manch kleine Veränderungen. Eine größere war der erste Einsatz eines modernen Elektrobusses im Frühjahr 2022. Und an dieser Stelle schließt sich der Kreis.
Falls die kleine Reise in die Nachbargemeinde Seehausen und durch die Geschichte Interesse weckt – auch die Buslinie 61 nach Strom und Sandhausen lädt zu Ausflügen ein.