Innovation

Bahnen werden intelligent

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BSAG will älteres Bahnmodell nachträglich mit Assistenzsystem ausstatten

Straßenbahnen sind langlebig und meist so viele Jahre im Liniendienst unterwegs, dass das Folgemodell, das sie irgendwann ablöst, im direkten Vergleich eine technische Revolution zu sein scheint. Damit auch Bremens Bestandsfahrzeuge vom Typ Flexity »up to date« bleiben, wagt die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) an ihnen ein spannendes Pilotprojekt.

Assistenzsysteme sind längst nicht mehr nur im privaten Auto zu finden, sondern erobern auch den öffentlichen Nahverkehr. Neue Busse haben einen Abbiegeassistenten, um beim Rechtsabbiegen Zusammenstöße insbesondere mit Radfahrenden zu verhindern. Alle »Nordlichter« haben bereits werkseitig ein Assistenzsystem verbaut, das vor Kollisionen schützen soll. Es erkennt Hindernisse etwa ab der Größe eines Autos in 40 bis 50 Metern Entfernung und leitet automatisch eine Bremsung ein, falls das Fahrpersonal das nicht rechtzeitig tut.

Die 43 Fahrzeuge der Flexity-Baureihe, die bereits seit 2005 in Bremen im Einsatz ist, verfügen über eine solche Technik bisher nicht. Deshalb erforscht die BSAG jetzt gemeinsam mit dem Bremer Unternehmen JUST ADD AI, das auf den Einsatz künstlicher Intelligenz spezialisiert ist, inwiefern sich ein solches System nachrüsten lässt. Aktuell zeichnen zehn Straßenbahnen Bilder des Bremer Liniennetzes auf, um eine Datenbasis zu schaffen. Die dafür installierten Kameras verpixeln schon bei der Aufnahme automatisch Gesichter und Kfz-Kennzeichen.

Parallel wird die Geschwindigkeit des Fahrzeugs erfasst. Anhand dieser beiden Werte soll das für die BSAG programmierte System lernen, welche Geschwindigkeiten in welchen Situationen angemessen sind. Dafür werden die Geschwindigkeitsaufzeichnungen in Zusammenhang mit der aufgenommenen Umgebung gebracht. Fahrdienstmitarbeitende bringen dem Computer also sozusagen während ihres Dienstes auf den Aufnahmefahrzeugen bei, welche Reaktion wann die richtige ist. Langfristig soll das System auf diese Weise lernen, bei welchen Verkehrsschildern und welchen Hindernissen ein Abbremsen nötig ist und die Fahrdienstmitarbeitenden warnen. Anders als das Assistenzsystem des »Nordlichts«, das in einer Gefahrensituation automatisch bremst, soll der Assistent für die Bestandsfahrzeuge aber zunächst nicht in die Fahrzeugmechanik eingreifen.

Aktuell steckt das Projekt noch in ­einem frühen Stadium. Das System muss erst einmal das Bremer Streckennetz, seine Verkehrszeichen und mögliche Hindernisse kennenlernen. Dann wird es in einem nächsten Schritt darum gehen, dass das System in diesen Situationen Abweichungen von der erwünschten Fahrweise wahrnimmt. Dann können die ersten Fahrdienstmitarbeitenden testen, wie sich die Technik im Praxiseinsatz bewährt. Optische und akustische Signale sollen sie vor Gefahrensituationen warnen. BSAG-Vorstand Hajo Müller ist gespannt auf die Ergebnisse des Pilotprojekts. »Unsere Fahrdienstmitarbeitenden tragen eine große Verantwortung und bewegen sich und unsere Fahrgäste durch einen immer herausfordernden Straßenverkehr. Es wäre toll, wenn es uns gelingen würde, sie auch beim Dienst auf den Flexity-Straßenbahnen zu unterstützen«, betont er.

Auch JUST-ADD-AI-Geschäftsführer Roland Becker begleitet das Projekt mit einem besonderen Interesse: »Jedes moderne Auto verfügt heute über Assistenzsysteme, die die Sicherheit enorm steigern. Die älteren Straßenbahnen der BSAG hatten solche Systeme noch nicht, sie werden aber noch viele Jahre auf Bremens Straßen unterwegs sein. Diese Technologielücke können wir mit modernen KI-Technologien schließen und die alten Bahnen mit den von uns entwickelten Retrofit-Systemen sicherer machen – und dabei gleichzeitig wichtige Daten und Erkenntnisse für die Straßenbahnen der Zukunft sammeln.«

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