Urbane Mobilität

Interview mit Johanna Benz: Graphic Recording – was ist das eigentlich?

Von in Urbane Mobilität

Gute zwei Wochen lang hatten wir auf unserer BSAG-Tour Unterstützung von einer Frau, die mit Bus- und Bahnfahren bisher höchtens als Nutzerin zu tun hatte. Graphic-Recording-Künstlerin Johanna Benz hat bei jedem Tour-Stopp die Ohren gespitzt und die Anregungen der Menschen in den Stadtteilen in kleinen Zeichnungen festgehalten. So entstand an jedem Tag ein neues, ganz individuelles Stadtteil-Bild. Im Interview stellen wir die Frau hinter den gezeichneten Mobilitäts-Meisterwerken vor.

Johanna, wie wird man Graphic-Recording-Künstlerin?

Johanna Benz: »Eigentlich habe ich in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in der Fachklasse Illustration studiert. Irgendwann bin ich spontan bei einer Veranstaltung des Tanzfonds Erbe Berlin eingesprungen. Der Auftrag war, die flüchtigste aller Kunstformen festzuhalten. Es ging darum, Bilder zu ganz persönlichen Geschichten und Erfahrungen mit Tanz zu machen, die man nicht mit der Kamera festhalten könnte.

Vor Beginn der Veranstaltung sagte die Moderatorin zu mir: Mach Dir keine Sorgen, ich hab alles gelesen, was Graphic Recorder machen und sag das gleich an. Und ich dachte nur: Gott sei Dank erklärt mir jetzt auch mal jemand, was ich hier eigentlich mache. (lacht)

Offensichtlich lag Dir das schnelle Festhalten von Eindrücken aber und Du bis dabei geblieben.

»Ja, ich hab sofort gemerkt, dass das ziemlich gut ist, sofort Feedback zu bekommen und darauf reagieren zu können. Vorher hatte ich zehn Monate nur an meinem Buch für meine Diplomarbeit gesessen. Das weiß man nicht: Kommt das gut an?«

Was genau steckt denn nun hinter dem Graphic Recording?

»Eigentlich ist das eine Übersetzungsleistung, eine visuelle Begleitung mit künstlerischem Kommentar. Ich werde oft engagiert, um gewohnten Formaten wie Vorträgen, Dankesreden oder Impulsen ein spannendes Gesicht zu geben. Beim Live-Recording zeichne ich von Aussagen innerhalb von fünf bis zehn Sekunden kleine Bilder, die dann direkt gefilmt und groß im Raum gezeigt werden. Im Dialog mit Politikern komme ich als Zeichnerin zum Beispiel viel charmanter und schneller auf relevante Themen als ein Kamerateam.

Und wie lernt man die Technik des »Zeichnens auf Zeit«?

»Angefangen hat das bei mir schon früh. In der Kirche oder bei langweiligen Reden habe ich mein Skizzenbuch aufgeschlagen und bin rein in meine eigene Welt. Jetzt punkte ich damit, dass ich schnell bin. Es gibt in Deutschland auch Fortbildungen zu Graphic Recording, aber die sind von Leuten gemacht, die weniger künstlerisches Recording machen, sondern das klassische »amerikanische« Graphic Recording unterrichten. Da geht es dann meistens darum, wie man schnell Sprechblasen oder Pfeile zeichnet.«

Aber würdest Du mit Deiner Arbeit nicht auch gern im Museum hängen?

»Gute Frage. Mein Buch (»Aber ohne mein Akkordeon bin ich nichts! Ich wollte es nie«, Anm. der Red.), für das ich einige Preise gewonnen habe, wurde viel ausgestellt. Für mich ist die Service-Leistung und das zeitliche Limit beim Graphic Recording entspannend. Und ich komme durch diese Arbeit an Orte, an denen ich wirklich gebraucht werde.«

Welches Werkzeug brauchst Du fürs Graphic Recording?

»Wenn ich nur kleine Zeichnungen mache, arbeite ich mit Uniball-Eye-Stiften von Mitsubishi Pencils. Für die großen Bilder auf der BSAG-Tour habe ich dicke Molotow-Marker benutzt. Die stinken nicht so wie Edding-Stifte nach Lösungsmitteln. Außerdem habe ich hier in Bremen einige Ideen zuerst in mein Notizbuch geschrieben. Das ist für mich wie der Memory-Schaum in Turnschuhen: Es hält die Gedanken fest, bevor sie mir wegrutschen.«

Was war bei Deinem Einsatz auf der BSAG-Tour anders für Dich?

»Das war das allererste Mal, dass ich elf Mal am Stück immer zum gleichen Thema im Einsatz war und ausnahmsweise mal Kollegen um mich hatte. Außerdem ging es nicht um kleine Skizzen, sondern um ein großes Bild, das entstehen sollte. Da musste ich erst einmal gucken, wieviel Input ich von den Menschen bekomme und ob ich damit das Bild vollkriege. Zum Glück gab es aber überall andere Themen und Ideen. Aber wenn es jetzt noch 14 Tage mit dem gleichen Thema weitergehen würde, ginge für mich der Reiz verloren. Außerdem hatte ich fürs Zeichnen mehr Zeit als sonst, wenn eine Skizze in wenigen Sekunden fertig sein muss.«

Außerdem hattest Du die ganze Zeit einen Bremer Liniennetzplan dabei, damit die Leute Dir erklären konnten, an welcher Stelle im Netz es ihrer Meinung nach Probleme gibt.

»Ja, der muss jetzt eigentlich ins Museum. (lacht) Während meiner Zeit in Bremen bin ich mit dem Gästeticket aber auch selbst fast auf jeder Linie mal mitgefahren. Wenn ich zum Beispiel gesehen habe, dass da der Elektrobus fährt, habe ich auch mal einen Umweg gemacht, um mitfahren zu können. Unterwegs habe ich einiges erlebt: Eine Türstörung, wegen der es erst einmal nicht weiterging, mehrere Ticketkontrollen und einen Mann, der sich schon vor der Ankunft an der Haltestelle im Bus eine Zigarette angezündet hat. Gleichzeitig hatte ich auch schon ein paar »Bekannte« unter den Fahrgästen, mit denen ich jeden Morgen zusammen im Bus saß, wenn ich zur Arbeit gefahren bin.«

 

Alle Stadtteil-Bilder von Johanna Benz in der Galerie:

 

 

 

0 Kommentare

Antwort hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

zwanzig − 13 =